Die gesamte eSport-Welt jubelte, als im September
2016 angekündigt wurde, dass das NBA-Team Philadelphia 76ers den britischen Traditionsclan
Team Dignitas kauft – wieder einer der zahllosen Schritte des eSport raus aus
der Nische und rein in die gesellschaftliche Mitte, und diesmal ein großer! Nur
einen Monat später konnte das dänische CS:GO-Lineup von Dignitas sich gegen die
anderen Top-Teams der Welt durchsetzen und das vielbeachtete EPICENTER-Event
gewinnen.
Man sollte meinen, dass der Sieg des dänischen Teams, welches seitdem weltweit als Top-5-Kandidat gehandelt wird, in gewisser Weise eine Rechtfertigung der Transaktion und Genugtuung für die Käufer war. Umso größer war die Überraschung, als Dignitas im Dezember 2016 völlig unvermittelt ankündigte, sich vom erfolgreichen CS:GO-Team zu trennen. Man wolle ein neues, ausdrücklich nordamerikanisches Team aufbauen, so die Begründung.
Schon seit Jahren scheint der eSport unaufhörlich zu
wachsen. Und weil jeder ein Stück vom Kuchen abhaben will, kommt der endlose
Geldregen aus allen Richtungen: von russischen Oligarchen (Alisher Usmanov –
VP, SK, EPICENTER uvm.) über „Venture Capital“-Firmen bis zu großen Sponsoren
(Audi bei Astralis, VISA bei SK), die man sich vor ein paar Jahren im eSport
nicht hätte vorstellen können.
Kommentar: Sportvereine? Machen mehr kaputt als dass sie helfen
Auch die großen Sportvereine diesseits des
Atlantik lassen sich die Gelegenheit natürlich nicht entgehen: Schalke und PSG
haben League of Legends-Teams, Wolfsburg setzt auf Fifa und auch die dänischen
Spieler, die nicht in den nordamerikanischen Markt gepasst haben, sind dann
eben in ihrem eigenen Land bei einem großen Sportverein untergekommen, dem FC
Kopenhagen. Natürlich wird das ganze Geld nicht ausgegeben, weil die hohen
Tiere plötzliche ihre Liebe zum eSport entdeckt haben, sondern weil sie darauf
hoffen, dass sich damit mehr Geld verdienen lässt. Das gesicherte Kuchenstück
soll wachsen und sich irgendwann bezahlt machen. Und damit das geschieht, da
sind sich die Geldgeber einig, muss eines passieren: Der eSport soll sich
gefälligst niederlassen.
Der eSport soll weiter wachsen
Wenn sich das Geschäft lohnen soll, dann muss der eSport
sein rasantes Wachstum beibehalten und mehr Nachfrage generieren. Das heißt
die im Schalke-Trikot zum Turnier fahren und mehr Hände, die mit Tüten aus dem
eigens eingerichteten MediaMarkt über die Dreamhack Leipzig laufen – mehr Fans
also.
Und diese Fans, das meint man beim traditionellen Sport gelernt zu haben,
generiert man mit lokaler und regionaler Bindung. Die virtuelle Welt soll mit
der materiellen verschmelzen und jeder sein eigenes Heimat-Team bekommen. Wer
noch nicht so richtig vom eSport überzeugt ist, den kann man vielleicht am
Schlafittchen des Lokalpatriotismus packen und mit in die begeisterte Nerdmenge
schleifen. Die bestehenden Fans wird es schon nicht so sehr stören, dass sie
plötzlich ihr Fantum niederlegen.
Genau dieser Logik folgt auch Blizzards neue Overwatch-Liga.
Ein Franchisemodell soll es werden, mit Teams die an, zunächst mal nur
nordamerikanische, Städte gebunden sind. Diejenigen, die schon etwas länger
dabei sind, bekommen bei dem Wort Franchise in Verbindung mit eSports sofort
posttraumatische Flashbacks. Schon vor ziemlich genau zehn Jahren gab es den
Versuch, eSport mit Hilfe großer Geldbeträge und eines Franchisemodells Mami,
Papi und der Schwester nahezubringen – die Championship Gaming Series, kurz
CGS.
Franchise-Debakel CGS
Teams trugen Namen wie L.A. compLexity, Berlin Allianz und Stockholm
Magnetik und wurden geleitet von Leuten wie Michael ‚ODEE‘ O’Dell (vom erwähnten
Dignitas), Emil ‚Heaton‘ Christensen und Jason ‚1‘ Lake,
der compLexity auch direkt an die CGS verkaufte. Machen wir’s kurz: Die ganze
Sache war ein katastrophaler Reinfall und hat ihren Teil zum Platzen der
eSport-Blase Ende der Nuller-Jahre beigetragen.
Eine solche lokale Bindung steht eigentlich auch allem
entgegen, was eSport ausmacht. Er basiert auf dem Internet und ist global. Was
ihn einzigartig macht, ist gerade der Umstand, dass er nicht ortsbasiert ist.
Wer online spielt, der spielt mit Spielern aus der ganzen Welt. Spieler aus
Deutschland spielen, anders als im traditionellen Sport, von Anfang an nicht
nur gegen Spieler aus Gelsenkirchen, Frankfurt und München, sondern gegen
Spieler aus Frankreich, Schweden und Großbritannien – das einzige echte Limit
ist der Ping.
Es gibt kein lokales Trainingsgelände, auf dem Teams sich zum
Training treffen müssen, keine Heim- und Auswärtsspiele. Selbst wenn sich die
Tendenz, Teams aus dem eigenen Land zu unterstützen, nicht abstreiten lässt
(auf geht’s, ab geht’s, mouz geht’s!), so hört der Lokalpatriotismus im eSport
genau dort auch wieder auf. Nationale Szenen haben im eSport über die Zeit
hinweg nicht an Bedeutung gewonnen, sondern verloren (Grüße an die ESL Pro
Series).
Was macht das Franchisesystem mit der Overwatch-Szene?
Internationale Lineups waren vor fünf Jahren noch ein wagemutiges
Experiment und sind mittlerweile ganz normal. Obwohl die World Cyber Games (WCG)
in den Anfangstagen des eSport mit nationalen Teams erfolgreich waren, sind die
World Esports Games (WESG) vor kurzem trotz Rekordpreisgeld zu einer Farce
verkommen, da die bestmöglichen, oft internationalen Lineups nicht teilnehmen
konnten. Entsprechend finden Rivalitäten im eSport auch nicht lokal, regional
oder national statt, sondern kontinental. Es gibt kein Berlin gegen Hamburg
oder Schweden gegen Frankreich, sondern EU gegen NA gegen Asien. Und natürlich
alle gegen Korea.
Bei der CGS war der ortsbasierte Franchiseansatz bei weitem
nicht das einzige Problem oder gar der alleinige Faktor für den Flop der Liga
und das folgende Platzen der Blase, aber dass er Schaden anrichten kann, zeigt
sich aktuell bei Overwatch: Blizzards Liga liegt noch mindestens ein halbes
Jahr in der Zukunft, doch alleine durch die Ankündigung hat Blizzard die
europäische Szene zum Tode verurteilt.
Obwohl die besten Teams aus Europa
kommen (zumindest bis die Koreaner wieder alles dominieren), müssen europäische
Teams, wie kürzlich REUNITED, die Pforten
schließen. Es gibt keine Turniere in Europa und Teams trauen sich nicht mehr, Transfers
zu tätigen, da sie nicht wissen, ob sie ins Franchisesystem aufgenommen werden.
In der ersten Saison werden die europäischen Topteams allesamt nach Nordamerika
ziehen und Europa wird in Sachen Overwatch völlig leergefegt sein. Selbst wenn
Europa und Asien in der zweiten oder dritten Saison dazukommen – werden die
Spieler wieder zurückkehren? Und wo sollen die guten Spieler für die
zusätzlichen Franchises alle herkommen? Die Unsicherheit bleibt.
Lokalpatriotismus ist nicht alles
Trotzdem ist ein gewisser Teil der Logik nicht
auszuschlagen. Wer jetzt schon eSport-Fan ist, wird nicht plötzlich aufhören, einer
zu sein, nur weil jetzt eine Stadt oder ein Verein vor dem Teamnamen steht. Und
wer Fan von Schalke ist, der hat zumindest eine höhere Chance, auch Fan des
League of Legends-Teams von Schalke zu werden. Wie viel höher diese Chance
wirklich ist, bleibt allerdings fraglich.
Die starke Anhängerschaft für Fußball
hierzulande (und andere Sportarten z. B. in den USA) basiert vor allem darauf,
dass fast jedes Kind irgendwann mal im Fußballverein war oder zumindest mit
seinen Freunden auf dem Bolzplatz gekickt hat. Wer noch nie Maus und Tastatur
geschwungen hat, für den ist die Einstiegshürde ungleich höher. Nur weil es
jetzt einen lokalen Bezug dazu gibt, werden Mami, Papi und die Schwester wohl
nicht jubelnd vor Twitch oder bei der ESL Cologne sitzen. Neue Fans kann dieser
Ansatz also höchstens in zukünftigen Generationen generieren. Bis dahin heißt
es abwarten und weiterspielen.
Bildquelle: ESL One Cologne

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